Palaver über die Palaver-Kultur
Die Weiten des Internets bieten ein
großes Angebot an Palaver- und Review-Kultur.
Es gibt auf der Anbieterseite ein
großes Aufgebot an Leuten, die alleine oder in Gruppen über Dinge
reden, die sie interessieren. Auf der Nachfrage-Seite gibt es noch
viel mehr Leute, die sich angucken und anhören, was jene Andere zu
dem Zeug zu sagen haben, das sie selbst auch interessiert.
Besonders dankbare Felder sind Games
und Filme. Da die allgemeine Entwicklung in diesen Bereichen in
Richtung "Rundgelutschtheit" tendiert, also durch
Marktforschung und dergleichen die Entwicklerseite immer besser
versteht, was die Kassen zum klingeln bringt, und als Konsequenz
vieles Neues weniger Angriffsfläche bietet, sind besonders alte
Games und alte Filme gerne Thema von Reviews, Vlogs, Podcasts und all
den Möglichkeiten, seine Meinung öffentlich zugänglich zu machen.
Sich ein Review-Portal zu suchen,
dessen Ton einem gefällt, kann bei der Entscheidungsfindung helfen,
welchen Film man sich ansieht, oder welches Spiel man als nächstes
zockt. Der Gegenstand der Review tritt aber zuweilen hinter die
Review selbst zurück.
So kann man dazu tendieren, sich
generell alles anschauen, was eine bestimmte Person zu sagen hat,
egal ob das Thema selbst einen interessiert oder nicht. Weil der
Reviewer selbst zum Star der Review wird: ich besuche eine Plattform
dann regelmäßig, wenn mir
1. die vermittelten Urteile und
Meinungen zumindest teilweise zusagen und der eigenen Meinung
entsprechen können
und
2. ich die Reviewer selbst sympathisch
oder witzig finde
Wenn das Thema selbst für mich
uninteressant sein sollte, kann ich mir einen neuen Beitrag immer
noch ansehen, weil ich diese oder jene Person gerne sprechen höre
und so oder so für die Dauer des Videos unterhalten bin- oder das
Video immer noch als Hintergrundrauschen mitlaufen lassen kann,
während ich mich mit irgend etwas anderem beschäftige.
Denn auch das gehört zum Konsum von
Review-Erzeugnissen: Die Halbheit.
Eine Review ist seltener so wichtig,
dass man sich voll und ganz auf sie konzentrieren muss. Oder es fällt
schwer, im Internetmodus, der durch kurze Aufmerksamkeitsspannen
geprägt ist, eine halbe Stunde nur eine Sache zu machen, nämlich
ungeteilt zuzuhören.
Stattdessen sind Reviews ideal für
halbe Tätigkeiten. Statt zum tausendsten Mal das Album seines
Lieblingsmusikers zu hören, kann man im Hintergrund seine
Lieblingsreviewer über den neuen StarTrek-Film plaudern lassen,
während man seine Steuererklärung ausfällt- letzteres wiederum
eine Tätigkeit, welche zum Erhalt der geistigen Gesundheit ebenfalls
Halbheit der Aufmerksamkeitszuwendung erfordert.
The sound of a human voice:
Was mitschwingt, mag die Angst vor der
Stille sein, das Bedürfnis, nicht mit der Bodenlosigkeit der
Selbstreflexion konfrontiert zu werden, in die man zu geraten droht,
wenn man sich der Beschäftigungslosigkeit im Alleinsein stellt.
Das Neue ist interessant, das Alte
schnell vergessen: Durch das täglich neue Angebot an Unterhaltung
findet man eigentlich keine Zeit mehr, einmal gesehenes Material
erneut zu besuchen. Im Gegensatz zum Film selbst, den man sich,
sofern er einem denn so gut gefällt, merhmals ansieht,
wird man die Review zu dem Film nur
einmal ansehen (oder, wie oben beschrieben, sieht man sich die Review
zum Film an, nicht aber den Film selbst)
Soweit sei das Offensichtliche kurz und
knapp beschrieben.
Was weniger offensichtlich ist, wie
sich die neue Reviewkultur auf einen selbst und alle Anderen
auswirkt.
Ich denke, es gibt Veränderungen auf
beiden Seiten; in der Produktion der Unterhaltungsmedien, wie auch im
Publikum.
Die Filmlandschaft hat sich schon
verändert.
Sie ist teilweise selbstreferentieller
geworden, beim Filmdreh schwingt schon das Denken darüber mit, wie
über den Film gedacht werden kann. Das bringt all jene neuen,
trendigen "Nerd-Regisseure" wie Josh Whedon hervor, die
Szenen des Films innerhalb des Films von den dem Film innewohnenden
Charakteren als stellvertretende Reviewer kommentieren lassen.
Man könnte meinen, dass sich der Film
dadurch bewusster wird, an welchen Stellen Elemente der Stroy
unlogisch sind. Das gilt allerdings nicht unbedingt- es kommen immer
noch genug Filme heraus, die vor Logiklöchern strotzen, worüber
sich alle Reviewer freuen, da es Redematerial im nächsten Video
bietet.
Dann gibt es die
Geschichtenproduzierer, die scheinbar unberührt von der kritischen
Review-Kultur ihr Zeug produzieren, und das mit Erfolg. Über die
Twilight-Fime etwa hat so gut wie jeder Mensch eine Meinung, obwohl
viele davon niemals keinen einzigen dieser Filme gesehen haben. Weil
eine Serie wie Twilight so viel Angriffsfläche bietet und sich
einfach nicht schert und weitermacht wie bisher werden viele lustige
Reviews darüber produziert, die unabhängig davon, ob man die
Geschichte kennt oder nicht, Spaß machen angesehen zu werden. Das
man sich seine Meinung lieber immer selbst machen sollte gilt für
Fälle wie diesen eher nicht, da man in der Regel weiß, dass man
nicht auf heisse Herdplatten fassen sollte.
Aus dem, was an Infos unweigerlich zu
einem dringt, wird klar, dass Twilight anzusehen kaum Spaß machen
würde- es sei denn, man sitzt in der Gruppe und kann simultan
gemeinsam über die Unsinnigkeiten auf dem Schirm reden und lachen.
Diese Filme sind klar von Filmen zu
unterscheiden, die für sich so gut sind, dass man sie alleine
ansehen kann- und die über soviel Gutes verfügen, dass sie wenig
Angriffsfläche bieten und somit weniger dankbare Ziele für Reviews
sind. Eine Review zu "There Will be Blood" wird schwerlich
unterhaltsamer (im Sinne von witzig) sein als eine Twilight-Review.
Aber hier sehe ich mir den Film an und brauche keine Review, dort
reicht die Review, und den Film selbst kann ich ignorieren.
Wer es gewohnt ist, Reviews
anzuschauen, wird unweigerlich darin geschult, kritischer an Filme
heranzugehen: Der Blick für Logiklöcher wird geschult.
Das macht einen insgesamt zu einem
aufgeklärteren Zuschauer, der sich eben nicht ungefragt mit
demselben Spaßlevel jeden beliebigen Film reinziehen kann. Gerade
die erfolgreichsten Filme, die unvermeidlichen Sommerblockbuster,
werden dadurch kritischer aufgenommen. Die Filme mit dem größten
Budget kommen im Mainstream gut an, hinter einer Tünche aus dicken
Effekten findet sich aber nicht besonders viel. Auch die
Manipulationsmechanismen des Publikums werden offensichtlicher. Macht
man sich das bewusst, kann man einen Blockbuster nicht mehr mit
kindlichen, leicht zu beeindruckenden Augen betrachten.
In diesem Vorteil liegt zugleich der
Nachteil. Der aufgeklärte Film-Snob steht auf einmal alleine da,
wenn jeder in seiner Clique einen bestimmten Popcorn-Film negativ
bewertet, aber in seinem Umkreis nur positives Feedback bekommt. Die
Filmauswahl wird eingeschränkt, es gibt weniger Angebote, die den
kritischen Zuschauer wirklich gefallen, oder in immer selteneren
Fällen, umzuhauen vermögen.
Es kommt eben immer darauf an, worauf
man Wert legt. Der eine ist satt und zufrieden, wenn er einen
labberigen Cheeseburger von Burger King gegessen hat- der andere
braucht ein edles Fünf-Gänge-Menü vom snobistischen
Edel-Restaurant, um befriedigt zu werden.
Für mich macht es wohl die Mischung.
Ich könnte mir niemals täglich There Will be Blood ansehen, genauso
wenig wie ich jeden Tag Burger essen könnte.
Einen schönen Cheeseburger esse ich
bisweilen dennoch gerne. Obwohl mir danach immer ein bisschen
schlecht ist.
Was auch ein Nachteil sein kann: Durch
den kritischen Blick, wird es schwieriger, sich selbst unbefangen
Geschichten auszudenken, wenn das denn angestrebt wird.
In dem Moment, wo ich darüber
nachdenke, mir eine Geschichte auszudenken, bedenke ich zugleich, was
eine Geschichte erfolgreich macht. Schließlich will man ja, das die
eigene Geschichte beachtet wird. Und das wird sie ben nur, wenn sie
dem Publikum, seien es Leser von Büchern, Spieler von Spielen,
Zuschauer von Filmen etc. auch gefällt. Dem kann man sich nicht
verschließen. Ich selbst kenne auch nur die Geschichten, die auf
diese Weise entstanden. Jeder ist von dem, was er aufgenommen hat,
beeinflusst.
Wenn ich als Kind alle Final
Fantasy-Spiele geliebt habe, hat dies einen so krassen Impact auf
meine Fantasie ausgeübt, dass ich tendentiell immer Final
Fantasy-artige Einflüsse in meinen Geschichten haben werde.
Je mehr unterschiedliche Geschichten
ich kenne, einen desto größeren Katalog an alternativen Einflüssen
habe ich.
Sehe ich immer nur Michael Bay-Filme
und versuche mich als Regisseur, so werde ich ein kleiner Michael
Bay. Kannte ich jedoch auch Jim Jarmusch-Filme, kenne ich ein völlig
anderen Gegenpol, nämlich eine Art von Indepent-Filmen. Dann kann ich
mir überlegen, wen von beiden Regisseuren ich in meiner eigenen
Geschichte eher als geistigen Einfluss wählen kann.
Auf jeden Fall brauche ich irgendeinen
Einfluss. Wer niemals irgendeine Geschichte gehört hat, wird sich
auch keine Geschichte ausdenken können.
Die Autorin von Twilight wurde von
Vampirgeschichten beeinflusst. Aber sie kannte nicht besonders viele
unterschiedliche Geschichten zu diesem Thema. Das Ergebnis ist eine
Art von naiver Geschichte, die durch das Internet nur noch seltener
zustande kommt.
Oder man schreibt Geschichten auf einem
ähnlichen Niveau, wenn man jünger ist, einerseits genug Freizeit
hat, um sich dem hinzugeben, und andererseits das kritische und
selbstkritische Denken noch nicht so weit ausgeprägt ist, dass man
seine Geschichte in Frage stellt.
Viele hatten irgendwo im Alter zwischen
10 und 20 Jahren eine produktive Phase dieser Art. Nehmen sie ihre
Geschichten später zur Hand wird ihnen bewusst, was für einen
Quatsch man damals produziert hat- was nichts gegen den nostalgischen
Wert dieser Erzeugnisse sagen soll, oder ausdrücken, dass es
prinzipiell schlecht ist, sich Geschichten zuerst auszudenken, und
dann mitteilbar zu machen.
Nur haben die wenigsten von denen, die
früh produktiv wurden, auch wirklich das Zeug dazu, echte
Geschichtenerzähler zu werden.
In der Regel kommt der Punkt, wo man
diese Unterfangen aufgibt, und etwas vernünftiges lernt, da
irgendwann der Druck, Geld zu verdienen, größer wird als die Muse.
Und dann ist man doch nur der vernünftige Kassierer im Aldi, statt
der unvernünftige Autor, der man als Kind werden wollte.
Oder aber man versucht es weiter, und
hat keinen Erfolg. Dann muss man aber einen Gutteil seiner Naivität
erhalten haben, oder zumindest sehr gut gegen allzu aufklärerische
Reflexion verteidigen. Reiche Eltern helfen auch gegen den Druck,
seine Zeit mit dröger Arbeit füllen zu müssen.
Für traurige ehemals-kreative wie mich
also sind die Reviews der heutigen Zeit eine schöne Beschäftigung.
Wie heisst es so schön? Wer als Autor
scheiterte, wird Kritiker. Abgesehen davon, dass Kritiker zu sein
auch eine Art der kreativen Produktivität ist, füge ich dem hinzu:
Wer zu faul ist, Kritiker zu werden, schaut zu seinem Vergnügen
Kritikern bei der Arbeit zu.
Und wird dadurch zum Hobby-Kritiker.
Und schreibt vielleicht einen
Blog-Eintrag darüber, Hobby-Kritiker zu sein.