Freitag, 31. Mai 2013

Reviewing Reviews

Palaver über die Palaver-Kultur

Die Weiten des Internets bieten ein großes Angebot an Palaver- und Review-Kultur.
Es gibt auf der Anbieterseite ein großes Aufgebot an Leuten, die alleine oder in Gruppen über Dinge reden, die sie interessieren. Auf der Nachfrage-Seite gibt es noch viel mehr Leute, die sich angucken und anhören, was jene Andere zu dem Zeug zu sagen haben, das sie selbst auch interessiert.
Besonders dankbare Felder sind Games und Filme. Da die allgemeine Entwicklung in diesen Bereichen in Richtung "Rundgelutschtheit" tendiert, also durch Marktforschung und dergleichen die Entwicklerseite immer besser versteht, was die Kassen zum klingeln bringt, und als Konsequenz vieles Neues weniger Angriffsfläche bietet, sind besonders alte Games und alte Filme gerne Thema von Reviews, Vlogs, Podcasts und all den Möglichkeiten, seine Meinung öffentlich zugänglich zu machen.
Sich ein Review-Portal zu suchen, dessen Ton einem gefällt, kann bei der Entscheidungsfindung helfen, welchen Film man sich ansieht, oder welches Spiel man als nächstes zockt. Der Gegenstand der Review tritt aber zuweilen hinter die Review selbst zurück.

So kann man dazu tendieren, sich generell alles anschauen, was eine bestimmte Person zu sagen hat, egal ob das Thema selbst einen interessiert oder nicht. Weil der Reviewer selbst zum Star der Review wird: ich besuche eine Plattform dann regelmäßig, wenn mir
1. die vermittelten Urteile und Meinungen zumindest teilweise zusagen und der eigenen Meinung entsprechen können
und
2. ich die Reviewer selbst sympathisch oder witzig finde
Wenn das Thema selbst für mich uninteressant sein sollte, kann ich mir einen neuen Beitrag immer noch ansehen, weil ich diese oder jene Person gerne sprechen höre und so oder so für die Dauer des Videos unterhalten bin- oder das Video immer noch als Hintergrundrauschen mitlaufen lassen kann, während ich mich mit irgend etwas anderem beschäftige.

Denn auch das gehört zum Konsum von Review-Erzeugnissen: Die Halbheit.
Eine Review ist seltener so wichtig, dass man sich voll und ganz auf sie konzentrieren muss. Oder es fällt schwer, im Internetmodus, der durch kurze Aufmerksamkeitsspannen geprägt ist, eine halbe Stunde nur eine Sache zu machen, nämlich ungeteilt zuzuhören.
Stattdessen sind Reviews ideal für halbe Tätigkeiten. Statt zum tausendsten Mal das Album seines Lieblingsmusikers zu hören, kann man im Hintergrund seine Lieblingsreviewer über den neuen StarTrek-Film plaudern lassen, während man seine Steuererklärung ausfällt- letzteres wiederum eine Tätigkeit, welche zum Erhalt der geistigen Gesundheit ebenfalls Halbheit der Aufmerksamkeitszuwendung erfordert.

The sound of a human voice:
Was mitschwingt, mag die Angst vor der Stille sein, das Bedürfnis, nicht mit der Bodenlosigkeit der Selbstreflexion konfrontiert zu werden, in die man zu geraten droht, wenn man sich der Beschäftigungslosigkeit im Alleinsein stellt.

Das Neue ist interessant, das Alte schnell vergessen: Durch das täglich neue Angebot an Unterhaltung findet man eigentlich keine Zeit mehr, einmal gesehenes Material erneut zu besuchen. Im Gegensatz zum Film selbst, den man sich, sofern er einem denn so gut gefällt, merhmals ansieht,
wird man die Review zu dem Film nur einmal ansehen (oder, wie oben beschrieben, sieht man sich die Review zum Film an, nicht aber den Film selbst)

Soweit sei das Offensichtliche kurz und knapp beschrieben.
Was weniger offensichtlich ist, wie sich die neue Reviewkultur auf einen selbst und alle Anderen auswirkt.
Ich denke, es gibt Veränderungen auf beiden Seiten; in der Produktion der Unterhaltungsmedien, wie auch im Publikum.
Die Filmlandschaft hat sich schon verändert.
Sie ist teilweise selbstreferentieller geworden, beim Filmdreh schwingt schon das Denken darüber mit, wie über den Film gedacht werden kann. Das bringt all jene neuen, trendigen "Nerd-Regisseure" wie Josh Whedon hervor, die Szenen des Films innerhalb des Films von den dem Film innewohnenden Charakteren als stellvertretende Reviewer kommentieren lassen.
Man könnte meinen, dass sich der Film dadurch bewusster wird, an welchen Stellen Elemente der Stroy unlogisch sind. Das gilt allerdings nicht unbedingt- es kommen immer noch genug Filme heraus, die vor Logiklöchern strotzen, worüber sich alle Reviewer freuen, da es Redematerial im nächsten Video bietet.
Dann gibt es die Geschichtenproduzierer, die scheinbar unberührt von der kritischen Review-Kultur ihr Zeug produzieren, und das mit Erfolg. Über die Twilight-Fime etwa hat so gut wie jeder Mensch eine Meinung, obwohl viele davon niemals keinen einzigen dieser Filme gesehen haben. Weil eine Serie wie Twilight so viel Angriffsfläche bietet und sich einfach nicht schert und weitermacht wie bisher werden viele lustige Reviews darüber produziert, die unabhängig davon, ob man die Geschichte kennt oder nicht, Spaß machen angesehen zu werden. Das man sich seine Meinung lieber immer selbst machen sollte gilt für Fälle wie diesen eher nicht, da man in der Regel weiß, dass man nicht auf heisse Herdplatten fassen sollte.
Aus dem, was an Infos unweigerlich zu einem dringt, wird klar, dass Twilight anzusehen kaum Spaß machen würde- es sei denn, man sitzt in der Gruppe und kann simultan gemeinsam über die Unsinnigkeiten auf dem Schirm reden und lachen.

Diese Filme sind klar von Filmen zu unterscheiden, die für sich so gut sind, dass man sie alleine ansehen kann- und die über soviel Gutes verfügen, dass sie wenig Angriffsfläche bieten und somit weniger dankbare Ziele für Reviews sind. Eine Review zu "There Will be Blood" wird schwerlich unterhaltsamer (im Sinne von witzig) sein als eine Twilight-Review. Aber hier sehe ich mir den Film an und brauche keine Review, dort reicht die Review, und den Film selbst kann ich ignorieren.
Wer es gewohnt ist, Reviews anzuschauen, wird unweigerlich darin geschult, kritischer an Filme heranzugehen: Der Blick für Logiklöcher wird geschult.
Das macht einen insgesamt zu einem aufgeklärteren Zuschauer, der sich eben nicht ungefragt mit demselben Spaßlevel jeden beliebigen Film reinziehen kann. Gerade die erfolgreichsten Filme, die unvermeidlichen Sommerblockbuster, werden dadurch kritischer aufgenommen. Die Filme mit dem größten Budget kommen im Mainstream gut an, hinter einer Tünche aus dicken Effekten findet sich aber nicht besonders viel. Auch die Manipulationsmechanismen des Publikums werden offensichtlicher. Macht man sich das bewusst, kann man einen Blockbuster nicht mehr mit kindlichen, leicht zu beeindruckenden Augen betrachten.
In diesem Vorteil liegt zugleich der Nachteil. Der aufgeklärte Film-Snob steht auf einmal alleine da, wenn jeder in seiner Clique einen bestimmten Popcorn-Film negativ bewertet, aber in seinem Umkreis nur positives Feedback bekommt. Die Filmauswahl wird eingeschränkt, es gibt weniger Angebote, die den kritischen Zuschauer wirklich gefallen, oder in immer selteneren Fällen, umzuhauen vermögen.
Es kommt eben immer darauf an, worauf man Wert legt. Der eine ist satt und zufrieden, wenn er einen labberigen Cheeseburger von Burger King gegessen hat- der andere braucht ein edles Fünf-Gänge-Menü vom snobistischen Edel-Restaurant, um befriedigt zu werden.

Für mich macht es wohl die Mischung. Ich könnte mir niemals täglich There Will be Blood ansehen, genauso wenig wie ich jeden Tag Burger essen könnte.
Einen schönen Cheeseburger esse ich bisweilen dennoch gerne. Obwohl mir danach immer ein bisschen schlecht ist.

Was auch ein Nachteil sein kann: Durch den kritischen Blick, wird es schwieriger, sich selbst unbefangen Geschichten auszudenken, wenn das denn angestrebt wird.
In dem Moment, wo ich darüber nachdenke, mir eine Geschichte auszudenken, bedenke ich zugleich, was eine Geschichte erfolgreich macht. Schließlich will man ja, das die eigene Geschichte beachtet wird. Und das wird sie ben nur, wenn sie dem Publikum, seien es Leser von Büchern, Spieler von Spielen, Zuschauer von Filmen etc. auch gefällt. Dem kann man sich nicht verschließen. Ich selbst kenne auch nur die Geschichten, die auf diese Weise entstanden. Jeder ist von dem, was er aufgenommen hat, beeinflusst.
Wenn ich als Kind alle Final Fantasy-Spiele geliebt habe, hat dies einen so krassen Impact auf meine Fantasie ausgeübt, dass ich tendentiell immer Final Fantasy-artige Einflüsse in meinen Geschichten haben werde.
Je mehr unterschiedliche Geschichten ich kenne, einen desto größeren Katalog an alternativen Einflüssen habe ich.
Sehe ich immer nur Michael Bay-Filme und versuche mich als Regisseur, so werde ich ein kleiner Michael Bay. Kannte ich jedoch auch Jim Jarmusch-Filme, kenne ich ein völlig anderen Gegenpol, nämlich eine Art von Indepent-Filmen. Dann kann ich mir überlegen, wen von beiden Regisseuren ich in meiner eigenen Geschichte eher als geistigen Einfluss wählen kann.
Auf jeden Fall brauche ich irgendeinen Einfluss. Wer niemals irgendeine Geschichte gehört hat, wird sich auch keine Geschichte ausdenken können.
Die Autorin von Twilight wurde von Vampirgeschichten beeinflusst. Aber sie kannte nicht besonders viele unterschiedliche Geschichten zu diesem Thema. Das Ergebnis ist eine Art von naiver Geschichte, die durch das Internet nur noch seltener zustande kommt.
Oder man schreibt Geschichten auf einem ähnlichen Niveau, wenn man jünger ist, einerseits genug Freizeit hat, um sich dem hinzugeben, und andererseits das kritische und selbstkritische Denken noch nicht so weit ausgeprägt ist, dass man seine Geschichte in Frage stellt.
Viele hatten irgendwo im Alter zwischen 10 und 20 Jahren eine produktive Phase dieser Art. Nehmen sie ihre Geschichten später zur Hand wird ihnen bewusst, was für einen Quatsch man damals produziert hat- was nichts gegen den nostalgischen Wert dieser Erzeugnisse sagen soll, oder ausdrücken, dass es prinzipiell schlecht ist, sich Geschichten zuerst auszudenken, und dann mitteilbar zu machen.
Nur haben die wenigsten von denen, die früh produktiv wurden, auch wirklich das Zeug dazu, echte Geschichtenerzähler zu werden.
In der Regel kommt der Punkt, wo man diese Unterfangen aufgibt, und etwas vernünftiges lernt, da irgendwann der Druck, Geld zu verdienen, größer wird als die Muse. Und dann ist man doch nur der vernünftige Kassierer im Aldi, statt der unvernünftige Autor, der man als Kind werden wollte.
Oder aber man versucht es weiter, und hat keinen Erfolg. Dann muss man aber einen Gutteil seiner Naivität erhalten haben, oder zumindest sehr gut gegen allzu aufklärerische Reflexion verteidigen. Reiche Eltern helfen auch gegen den Druck, seine Zeit mit dröger Arbeit füllen zu müssen.
Für traurige ehemals-kreative wie mich also sind die Reviews der heutigen Zeit eine schöne Beschäftigung.
Wie heisst es so schön? Wer als Autor scheiterte, wird Kritiker. Abgesehen davon, dass Kritiker zu sein auch eine Art der kreativen Produktivität ist, füge ich dem hinzu: Wer zu faul ist, Kritiker zu werden, schaut zu seinem Vergnügen Kritikern bei der Arbeit zu.
Und wird dadurch zum Hobby-Kritiker.

Und schreibt vielleicht einen Blog-Eintrag darüber, Hobby-Kritiker zu sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen