Dienstag, 16. Dezember 2014

Patch 2: Die Anomie-Theorie Mertons



1.Durkheim-Exkurs: Der Ursprung der Anomie
Der Begriff der Anomie geht zurück auf einen der „Großen Alten“ der Soziologie, Durkheim. Darunter verstand dieser zunächst das Fehlen von Normen und Gesetzen in Anbetracht neuer Umstände. Anomisches als abweichendes Verhalten steht im Gegensatz zum nomischen, also regelkonformen Verhalten.
Durkheim trennt drei Formen der Arbeitsteilung, wonach seiner Ansicht nach die „anomische Arbeitsteilung“ dominiert. Das heisst, dass sich neue Arbeitsorgane entwickeln, ohne dass sich im gleichen Maß Regeln für die Arbeitsbedingungen mitentwickeln. 
Daneben gibt es die „erzwungene Arbeitsteilung“, deren Ungerechtigkeit in den bereits bestehenden Regeln zu finden ist. Die bestehenden Regeln können nach dieser Form nicht mit dem neuen Moralbewusstsein der Arbeiter mithalten. Die erzwungene Arbeitsteilung domierte laut Marx, was Durkheim´s Position entgegenstand.
Daneben hat Anomie auch in Durkheim´s Beschäftigung mit der soziologischen Erklärung von Selbstmord eine Rolle gespielt. So könne eine plötzliche Änderung der sozialen Lage, wie etwa in Wirtschaftskrisen, zu erhöhten Selbstmordraten führen. Anomie bezieht sich also auf ein Fehlen von Regelzuständen. Durch Schaffung von nötigen Regeln wird der Anomie Abhilfe geschafft. Das andere Extrem, die Überreglemtierung, nennt Durkheim übrigens „Fatalismus“.

2.Jetzt aber: Merton´s Anomietheorie im Überblick
Mit diesem Hintergrundwissen wenden wir uns Merton´s Essay „Social Structure and Anomie“ aus dem Jahre 1938 zu, welcher kriminelles Verhalten mit besonderen Blick auf die US-Staaten erklärt.
In dem Essay beschreibt Merton fünf verschiedene Arten von Verhalten von Individuen, wenn diese mit Druck aus der Gesellschaft konfontiert werden. Diese fünf Kategorien beschreiben keine endgültigen Menschentypen, sondern allgemeine Dispositionen, die sich je nach Änderung der äußeren Situation auch ändern können. Merton behauptet allerdings, dass Menschen aus verschiedenen sozialen Lagen eine Tendenz haben, verschieden mit Druck umzugehen.
Zunächst trennt er dafür zwischen Zielen und Mitteln, die von der Gesellschaft akzeptiert sind oder nicht.  
Hier die fünf Kategorien, kurz und knapp:
  1.Der überwiegende Teil der Bevölkerung nutzt die gesellschaftlich akzeptierten     Mittel, um die gesellschaftlich akzeptierten Ziele zu erreichen. Darum wird diese Art der Adaption „Konformität“ genannt.
  2.Wer sowohl Mittel als auch Ziele ablehnt, ist ein „Rückzügler“.
  3. Wer zwar Ziele und Mittel ablehnt, aber zugleich neue gesellschaftlich nicht anerkannte Ziele etablieren will und diese mit ebenfalls neuen, nicht akzeptierten Mitteln erreichen will, ist ein „Rebell“.
  4.Wer die akzeptierten Ziele aus den Augen verloren hat aber sich dennoch sklavisch an die etablierten Mittel hält und sie gleichsam nur noch aus Gewohnheit ausführt, ist ein „Ritualist“.
 5. Der für die Betrachtung interessanteste Typ ist der „Innovative“: Die gesellschaftlich anerkannten Ziele sind verinnerlicht, aber es werden nicht akzeptierte Mittel angewendet, um diese Ziele zu erreichen.

Der Innovative ist der Kriminelle. 
Die ungewöhnliche Wortwahl lässt schon ersichtlich werden, dass Merton von einer üblichen moralischen Bewertung von Kriminalität Abstand nimmt. 
Warum das so ist, wird ersichtlich, wenn wir verstehen, dass der Kriminelle ebenso wie der Konforme Ziele wie Reichtum erstrebt, die mit hoher sozialer Anerkennung einhergehen, diesem aber
 1.)der Zugang zu effektiven normativen Mitteln zur Zielerreichung verwehrt bleibt und
 2.) das Versprechen der Gesellschaft entgegen der erlebten Realität darin besteht, dass jedem die gleichen Chancen zur Erlangung von Reichtum und Anerkennung bereitstehen.


3.Social Structure and Anomie- Schritt für Schritt
Die dem Essay zugrundeliegende Frage ist, wie  Non-Konformität erklärt werden kann.
Wieso gibt es Kriminalität in der Gesellschaft? Eine biologische oder utilitaristische Antwort auf diese Frage ist: Der Mensch ist von Natur aus schlecht und tut alles, was ihm nur möglich ist, um seine Ziele zu erreichen. Das einzige, was diesem Krieg aller gegen alle Einhalt gebieten kann,  sind Recht und Gesetz.
Merton stellt sich klar gegen diese Position. Kriminalität kann nach seiner Anomietheorie auch durch die Internalisierung gesellschaftlich anerkannter Ziele erfolgen.

Um dies zu erklären, sehen wir uns den „Innovativen“ an: Er verfolgt das Ziel, reich zu werden, wenn Reichtum zugleich in starkem Maß mit sozialer Anerkennung einhergeht. 
Macht er die Erfahrung, dass die ihm zur Verfügung stehenden Mittel schwer oder gar nicht zu diesem Ziel führen, wird er dazu tendieren, neue Mittel anzuwenden, die erfolgsversprechender sind, aber eben auch illegal.

Merton führt dies genauer aus, indem er die Grenzen von Mitteln in „normative“ und „technische“ trennt: 
Bei den normativen Grenzen meiner Mittel fragt sich „darf ich das?“, wo sich bei den technischen Grenzen nur fragt „ist das machbar?“.
Sowohl Ziele wie Mittel werden je nach Art unterschiedlich hoch bewertet, gehen also mit verschiedenen Sanktionen einher, verschieden hohen Graden gesellschaftlicher Verachtung oder Anerkennung.
Ziele und Mittel liegen im Gleichgewicht, wenn sie gleichermaßen anerkannt werden. Die Folge ist eine allgemeinere Tendenz zur Konformität.
Wo jedoch die Ziele überproportional hoch bewertet werden, geht die Tendenz in der Wahl der Mittel zur Zielerreichung weg von normativen, und hin zu technischen Grenzen.
Ein Grund für Anomie ist die keineswegs selbstverständliche Gleichsetzung von Reichtum mit sozialer Anerkennung. Hängt soziale Anerkennung primär nur vom Reichtum ab, wird die Frage der normativen Mittelfindung zunehmend irrelevant, und die technische Machbarkeit wird zunehmend relevant.
Anomie liegt also vor, wo die Wichtigkeit auf technische Mittel dominiert, da ein Übergewicht der Belohnung im Ziel liegt.
Soweit Normen verinnerlicht sind, kann ein Schuldgefühl zwar noch erhalten bleiben, allerdings lässt sich das innovative Verhalten rechtfertigen mit den großen Belohnungen- „der Zweck heiligt die Mittel“. Die gesamtgesellschaftliche Überhöhung des Zieles überdeckt den Bruch des Gebrauchs normativer Mittel.

Erinnern wir uns an die Anfangsaussage des Hobbes-ianischen Menschenbildes: Die Fesseln der Gesellschaft bändigen den Menschen, der sich sonst in Verbrechen ergehen würde.
Wenn wir aber die Prämisse akzeptieren, dass kriminelle Mittel angewendet werden um gesellschaftlich anerkannte Ziele zu erreichen, lässt sich auch folgern, dass Menschen nicht von Natur aus kriminell sind, sondern gerade aufgrund gesellschaftlicher Strukturen kriminell werden.

Die Ziele, die wir verfolgen, sind Produkte der Gesellschaft. Der Innovative verfolgt dasselbe konstruierte und sanktionierte Ziel wie der Konforme.
Die normativen Mittel werden trotz ihrer Wünschbarkeit aufgegeben, wenn erkannt wird, dass sie zwar legitim, aber nicht effizient sind. Die neuen Wege sind dann zwar nicht legitim, aber zumindest zielführend. 

Je mehr es an legitimen und effektiven Mitteln mangelt, desto normaler wird die Anwendung illegitimer Mittel. Diese Einstellung dominiert in Wohngegenden, in denen die einzigen legitim erreichbaren Mittel im Bereich der Handarbeit dominieren:
Die Handarbeit/Fabrikarbeit ist stigmatisiert und findet ihr positiv bewertetes Gegenstück in der Büroarbeit. Die Konsequenz ist eine stärkere Neigung zu innovativen Praktiken. Die geringen Aufstiegs- und Einkommensmöglichkeiten können nicht mit den Erfolgsaussichten durch Aktivitäten im organisierten Verbrechen mithalten. Klassen, deren Zugang zu effektiven legitimen Mitteln durch geringere finanzielle Ressourcen und Bildung eingeschränkt ist, tendieren zur Innovation in stärkerem Maße, wie ihre Lage dem gesamtgesellschaftlichen Ideal der klassenlos uneingeschränkten vertikalen Mobilität kollidiert.

Die Ideologie einer Gesellschaft der hohen vertikalen Mobilität war wohl in Gründungszeiten der USA empirisch nachweisbar. Damals war es möglich, vom Tellerwäscher zum Präsidenten zu werden, jedenfalls mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit als in späteren Zeiten, in denen die Gesellschaftsordnung stärker erstarrt ist.
Diese Idee jedoch, dass jeder alles erreichen kann, wenn er sich nur genügend anstrengt, lebt weiterhin fort. Diese Idee hat allerdings die praktische Funktion,  die Hoffnung auf Erfolg in Vielen zu bewahren, die sonst das bestehende System stürzen wollen würden.

Es kollidieren die gesellschaftliche Erwartung, einen Teil zur Anhäufung von Wohlstand beizutragen mit der Verwehrung zum Zugang der Mittel, dieses Ziel zu erreichen. 
Darüber hinaus muss beachtet werden, dass es in der Gesellschaft das Versprechen gibt, jedem die gleichen Chancen zum Erfolg theoretisch bereitzustellen, diese Chancen aber faktisch nicht gleich verteilt sind sondern im Übergewicht auf einen kleinen Teil des Volkes beschränkt sind. 
Jeder teilt dann dasselbe Streben nach Erfolg, während die legitimen Mittel zur Erlangung des Erfolges restriktiv verteilt sind.

Eine mangelhafte Integration bestimmter Teilgruppen der Gesellschaft sind Zeichen einer fehlerhaften Koordination der Gesellschaft.
Der Grund der Anomie ist diese Kombination aus der überproportional hohen Anerkennung von Reichtum und dem Fehlen der Mittel zur Erreichung des Reichtums, 
in Verbindung mit dem kontrafaktischen Versprechen, dass allen dieselben Mittel zur Erreichung des Ziels zustehen.
Wenn man das negative Bild des Menschen fallenlässt, dass Verbrechen in seiner Natur liegt, und lernt zu verstehen, dass der Grund für Verbrechen auch und gerade in der Struktur der Gesellschaft angelegt ist, verschieben sich folglich die Mittel zur Bekämpfung von Verbrechen. Denn dann kann man bei der Struktur der Gesellschaft ansetzen und einen Mangel der Mittel-Ziel-Koordination beheben.

4.Fazit, eigene Gedanken
Dass Merton ein Feind des simplistischen negativen Menschenbildes ist und Moral eine sehr flexible Angelegenheit sein kann, sahen wir ja schon anhand der „self-fulfilling prophecy“(SIEHE PATCH 1).
Der Begriff der Anomie ist hier eher progressiv gefärbt. Nach Merton sind Menschen nicht Verbrecher, weil es ihrer Natur entspricht, sondern weil sie Tendenzen nachgehen, die in der Struktur der Gesellschaft angelegt sind. 
Den Begriff der Innovation anstelle von Kriminalität zu verwenden lässt meines Erachtens eine andere und hilfreichere Sichtweise auf die Erklärung normabweichenden Verhaltens zu. Was kriminell ist, ist auch eine Norm- und Moralabhängige Zuschreibung. Kriminell ist dann erstmal nur, was nicht gesellschaftlich akzeptiert ist. Was in unseren Augen kriminell ist, ist abhängig von Determinanten, die sich ändern können.  Es gibt nicht DIE in Stein gemeißelte Definition von Kriminalität.  Moralische Standards sind wandelbar, nicht ewig gültig. 

Es lässt sich einiges über die Einstellung eines Menschen schlussfolgern, wenn man ihn fragt, welcher dieser beiden möglichen Bildern er mehr zugeneigt ist:
Ob Menschen von Natur aus schlecht und Verbrecher folglich unverbesserlich sind, oder ob Verbrechen eine Art ist, gesellschaftlich anerkannte Ziele mit nicht anerkannten Mitteln zu erreichen und somit eine Verbesserung der Zustände möglich und in einer Änderung der Struktur der Gesellschaft zu finden ist.

Beide Ansichten, die erstmal nur gedanklich sind, haben verschiedene reale Konsequenzen. Sehe ich den Kriminellen als unverbesserlichen schlechten Menschen, werde ich ihn nur so lange und so weit wie möglich von der funktionierenden Gesellschaft entfernt wegsperren. Sollte ich das Wort eines Kriminellen vor Gericht dem Wort eines Polizisten entgegenstellen, werde ich a priori auf Seiten des Polizisten stehen, und ihm völlig inhaltsunabhängig einen signifikanten Vortrauensvorschuss gewähren. 

Sehe ich den Kriminellen als ein Produkt der Gesellschaft, gebe ich mich mit der Bestrafung von Normabweichlern nicht zufrieden. Ich frage, was falsch ist an der Struktur der Gesellschaft, weshalb sie Kriminelle hervorbringt und erarbeite einen institutionellen Wandel. Ich hinterfrage, ob Reichtum die soziale Anerkennung verdient, die er erfährt. Ich hinterfrage, wieso die vertikale Mobilität allenthalben propagiert wird, aber es viel höhere Schranken zum Erfolg für die einen gibt, während die anderen mit dem Silberlöffel im Mund geboren werden.
Ich kann zumindest verstehen, weshalb die Benachteiligten, denen ein kontrafaktisches Versprechen gegeben wird, frustriert werden. Ich verstehe, dass sie die Ziele internalisieren, aber trotz aller Anstrengung nicht erreichen- und mit der Aussage leben müssen, dass sie sich trotzdem nicht genug anstrengen, oder die falschen Anstrengungen unternehmen. 


Samstag, 13. Dezember 2014

Patch 1: Self-fulfilling prophecy (Merton)



Patch 1 : 
Die self-fulfilling prophecy (Robert K. Merton)

Die self-fulfilling-prophecy ist eine zu Beginn falsche Definition der Situation, die ein neues Verhalten hervorruft, dass die ursprünglich falsche Sichtweise richtig werden lässt.“

Der Begriff der sich selbst erfüllenden Prophezeiung ist über den soziologischen Sprachgebrauch schon lange auch in den Alltagsgebrauch übergegangen. Merton hat den Begriff zwar nicht erfunden, aber am klarsten beschrieben. 

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung ist eine Sonderform der 
unvorhergesehen Folgen zielgerichteter sozialer Handlung
und verwandt mit dem Thomas-Theorem, welches in der Kurzform besagt: Wenn Menschen Situationen als real definieren, so haben sie reale Konsequenzen.

Ein Vorurteil hat ein bestimmtes Verhalten zur Folge, dessen Konsequenzen weiteres Verhalten zur Folge haben, die rückwirkend das Vorurteil bestätigen.
Ein Beispiel aus der Vergangenheit der USA:
Das Vorurteil: „Afroamerikaner sind Streikbrecher“ der weißen streikenden Arbeiter ist nicht faktisch belegt, hat aber die reale Konsequenz, dass Afroamerikaner nicht in Gewerkschaften aufgenommen werden.
Die daraus folgende Konsequenz ist, dass Afroamerikaner tatsächlich Streikbrecher werden, weil sie die Arbeit annehmen, die sich in den nun bestreikten Arbeitsfeldern für sie ergibt, und keine Handlungsalternative haben, da sie sich zuvor nicht gewerkschaftlich organisieren konnten.

Die Struktur dahinter ist immer die Abgrenzung einer Eigengruppe von einer Aussengruppe (mehr dazu in der Theorie der Etablierten/Außenseiter von Norbert Elias), welche Kraft der „Moral-Alchemie“ (Eine der vielen schönen Wortschöpfungen Mertons) die Tugend der Eigengruppe in die Schande der Außengruppe transformieren. Ist man etwa in der Eigengruppe „sparsam“, so ist man in der Außengruppe „geizig“. 
Als weiteres Beispiel dient die alchemistische Deklinierung des Begriffes „Beständigkeit“:
ICH BIN BESTÄNDIG
DU BIST HARTNÄCKIG
ER IST STUR
Sowie die Heranziehung der US-Amerikaner von Abraham Lincoln als Kulminationspunkt sämtlicher positiver Eigenschaften, wobei dieselben beobachtbaren Eigenschaften bei Außengruppen betrachtet negativ bewertet werden: „Abe arbeitete bis spät in die Nacht? Das zeugt von Fleiß und Ausdauer!“, versus: „Die Japaner arbeiten bis spät in die Nacht? Das zeugt von der japanischen Ausbeutermentalität!“

Ein Ausbrechen aus dem Kreis der sich selbst erfüllenden Prophezeiung ist nur möglich, wenn die falschen Deutungen erkannt und revidiert werden. 
Bildung allein oder moralische Entrüstung führt nicht zur Lösung. Stattdessen ist ein konkreter Wandel innerhalb der Institutionen notwendig, der den Handlungsrahmen so anpasst, dass es für Individuen und Gruppen überhaupt erst möglich wird, ihre Haltung zu ändern.
Ein Bildungsfeldzug allein wird etwa nicht zum Verschwinden von Rassenurteilen führen. Ein Irrtum macht sich nicht durch die bloße Konfrontation mit der Wahrheit davon.
Als Beispiel gibt Merton die Einführung staatlicher Gesetze betreffend der Schließung von Banken an, die den Rückgang von Bankenschließungen ermöglichten- zuvor kam es zu einer Welle von Schließungen aufgrund einer self-fulfilling prophecy innerhalb der Bankkunden, dass ihre Bank pleite gehen wird- in der Folge kam es zu massenhaften Leerräumen der Konten, was die Prophezeiung rückwirkend bestätigte und sich selbst verstärkend bis zur insititutionellen Intervention fortsetzte.

Nach Merton ist aus einem Erfolg mehr zu lernen als aus tausend Fehlschlägen. Denn wurde nur einmal gezeigt, dass etwas möglich ist, muss nur noch herausgefunden werden, wieso es funktionierte.
Merton erteilt die Absage zum sozialen Fatalismus, der eine unwandelbare schlechte Natur des Menschen postuliert und somit einen Kreislauf der Angst in Gang setzt. Diese Feindschaft gegenüber einem unverbesserlichen Menschenbild wird uns wieder in Merton´s Essay „Social Structure and Anomie“ über die Anomietheorie begegnen. 

IN A NUTSHELL:
Falsche Vorurteile haben reale Konsequenzen, die das Vorurteil rückwirkend bestätigen. Dabei differenzieren sich immer Eigengruppen von Außengruppen, die mittels Moral-Alchemie gleiche Attribute in der eigenen Gruppe gutheissen und in der Außengruppe verachten. Ängste, die auf solche Weise in die Wirklichkeit übersetzt werden, können nicht durch Bildung allein mattgesetzt werden, sondern müssen durch konkreten Wandel der Institutionen unter Kontrolle gebracht werden.



Quelle:
Mijic, von Scheve (2010), „Omen est Nomen. Robert K. Merton: Die self-fulfilling prohecy“, in: Sternstunden der Soziologie. Wegweisende Theoriemodelle des soziologischen Denkens, Campus Reader, Frankfurt/Main, S.83- 107


Patchwork der Soziologie

PATCHWORK DER SOZIOLOGIE

Die folgenden kurzen Schriftstücke sind größtenteils Zusammenfassungen einiger Kapitel aus dem Buch „Sternstunden der Soziologie“. Dieses Buch hat das Ziel, einige zeitlos gültige soziologische Erkenntnisse zusammenzustellen, ohne eine übermaßig komplexe, komplette Theorie zu beschreiben. Dafür sind die dargestellten Erkenntnisse laut dem Vorwort des Buches innerhalb der verschiedenen Lehren der Soziologie größtenteils unumstritten. Und die Erkenntnisse sind so einleuchtend, dass sie kein komplexes Vorwissen erfordern. 
Auch wenn man die einzelnen Fragmente nicht in jedem Fall direkt verbinden kann, ist ihre Verinnerlichung nicht vergebens. Man kann sie vergessen wähnen und stolpert an einem späteren Zeitpunkt seines Lebens über einen Sachverhalt, dessen versteckte Struktur man auf einmal besser verstehen kann, weil man das eine oder andere Fragment als Erklärungsschablone auf ihn legen kann.
Die Patchworkdecke, die sich der geneigte Leser aus den vorgestellten Fragmenten nähen kann, dient als wärmender Mantel oder fliegender Teppich, auf jeden Fall fühlt man sich mit ihr weniger nackt, wenn es darum geht, der Gesellschaft gegenüberzustehen.


Verbindungen zwischen den Fragmenten gibt es allerdings. Wird auf andere Fragmente/Patches verwiesen, so sind sie innerhalb des Textes unterstrichen.