Dienstag, 5. Februar 2013

Erinnerungen und andere Erfindungen

Na ja, Erinnerungen sind keine kompletten Erfindungen, das will ich nicht sagen. Aber ein bisschen erfunden sind Erinnerungen immer.

Heinz von Foerster sagte, dass, jedesmal wenn wir uns an etwas erinnern, wir das Erinnerte neu konstruieren.
Das muss nicht unbedingt so sein, es ist eine Haltung, verbunden mit der Gedankenrichtung des Konstruktivismus.
Es klingt allerdings ganz naheliegend. Die Erfahrung zeigte, dass Erinnerungen oft kein besonders großer Wahrheitsgehalt inneliegt.
Die Verzerrung des wirklich Geschehenen braucht nicht einmal besonders lange zeitliche Abstände.
Wenn ich heute wiedergebe, was ich gestern tat, schleichen sich schon Änderungen ein.
Solange ich meine Rekonstruktion nicht mit anderen Wirklichkeitskonstruktionen vergleiche, fällt mir das nicht auf. Also, erst wenn ich meinen Bericht gestriger Ereignisse mit dem Bericht von Jemanden, der dasselbe mit mir erlebte, vergleiche, kann mir bewusst werden, dass irgendwas mit meiner Konstruktion nicht stimmt.
Es sei denn, ich bin davon überzeugt, dass es absolut keinen Zweifel an meiner Wahrnehmung und meiner Fähigkeit, wahrgenommenes wiederzugeben, geben kann.
Das ist in der Regel der Normalfall. Dann brechen ganz schnell mehr oder weniger profane Streitereien aus.
Beide Parteien stellen fest, dass sich ihre Erinnerungen nicht decken, und können sich die Haare darüber zerraufen, wer von beiden nun Recht hat, wer von beiden sich täuscht.
Wenn man nun aber über das konstruktivistische Verhältnis zur Wahrheit bescheidweiß, kann man die Dinge ganz anders sehen.
In dem Moment, wo ich mir darüber bewusst werde, wie ungenau meine Erinnerungen sind, kann ich auch sehen, dass mein Gegenüber auf diesselbe unzureichende Rekonstruktionen zurückgreift.
Es hat also oft nicht der Eine oder der Andere recht, sondern es kann durchaus vorkommen, dass sich beide täuschen.
Sofern man nicht mehr nachprüfen kann, welche beider Ansichten nun stimmt, sollte man den Streit als unlösbar ruhen lassen.
Erinnerungen sind eine Rekonsruktion, eine Neu-Erfindung von Erlebtem, aber kein neues , exakt gleiches Erleben der Vergangenheit. Ereignisse, die viele Jahre zurückliegen, sind noch stärker emotional gefärbt. Viele Dinge werden im Nachhinein schöner gefärbt.

Und wie viel mehr verzerrt wird, wenn man Erinnerungen weitergibt. Wenn ich etwas nicht selbst erlebte und mich auf den Bericht eines anderen verlassen muss, habe ich als Grundlage nur die Rekonstruktion eines Anderen.

Darum alleine würde ich Geschichtsberichte nie als die in Stein gemeißelte Wahrheit ansehen.
Geschichte ist Rekonstruktion, die gefärbt ist von all Jenen, die sie erzählen.


Übrigens, wie unzuverlässig unsere Erinnerungen sind wird auch  in dem hervorragenden Film "Die zwölf Geschworenen" ( 12 Angry Men) behandelt.

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