Dienstag, 5. Februar 2013

Gedankensuppe und Kant-Speck

Die Menschheit im Ganzen häuft nicht einfach nur immer mehr Wissen an.
Wenn wir etwas lernen, rekonstruieren wir das Gelernte ebenso wie Erinnerungen von Erlebnissen.
Darum vergesse ich Dinge, oder kann sie nur noch bruchstückhaft wiedergeben. Oder, was sich kaum vermeiden lässt, gebe ich das Gelernte mehr oder weniger verzerrt wieder.
Vergeht noch mehr Zeit, kann es passieren, dass sich übriggebliebene Wissensfragmente des früher Gelernten mit anderem Wissen vermischen.
So passiert es, dass man Dinge durcheinanderbringt. Man dichtet einen Gedanken jemanden an, der ihn gar nicht äußerte, weil man denkt, dass dieser Gedanke zu der Denkweise dieser Person gehört- dabei stammt der Gedanke tatsächlich von jemand Anderem.
Mein Hirn ist voll von solchen Fragmenten. Vieles wird vergessen... Letztens las ich etwas über den Aufbau von Neuronen und dachte, dass mir das neu sei. Später blätterte ich dann in alten Mindmaps und sah, dass ich über genau dieses Thema vor einigen Jahren in einem anderen Buch las. Nur diesmal nicht in Heinz von Foersters "Teil der Welt", sondern, glaube ich, Watzlawick´s "Die erfundene Wirklichkeit". Beide Bücher zumindest geistig mit dem Konstruktivismus verwandt.

Ich glaube, dass ein ganz großer Teil dessen, was wir zu wissen glauben, ein riesiger Mischmasch aus verschiedenen Fragmenten ist. Viel Wissen ist auch mehr oder minder ins "kollektive Unterbewusste" gesickert. Man kann auf die Steaße gehen und einem Fremden sagen :
" Hey, es gibt keine objektive Welt. Du konstruierst dir deine Welt. Du siehst etwas, nicht, weil es so ist, wie du es siehst, sondern weil deine Sinnesorgane so und so geartet sind, dass du etwas auf diese Weise siehst."
Man wird vielleicht komisch angeguckt, weshalb man mit so einem Kram ankommt... aber man wird wohl nicht absolutes Erstaunen oder Entsetzen ob der schockierenden Nachricht beim Anderen auslösen.
Ich glaube, viele haben zumindest eine ungefähre Ahnung davon, dass sich Menschen bereits Gedanken darüber machten, ob unsere Wahrnehmung wirklich so objektiv ist, wie man es noch vor einigen hundert Jahren annahm.
Nur ist nicht jedem bewusst, wer diese neue Sichtweise, dass das Subjekt seine Welt durch die Wahrnehmung konstruiert, so genau auf den Punkt brachte. Das war nämlich der Kant. Der die kopernikanische Wende in der Philosophie brachte, indem er das Subjekt in den Fokus stellte, statt der Welt. Ab Kant nahm man die Welt nicht mehr als unerschütterliche, objektive Wahrheit hin. Ab Kant wurde ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass wir die Welt nurt wahrnehmen, aber nicht in ihrer echten Form abbilden. Wir sehen Farben nur aufgrund der Art, wie unser Hirn und unsere Augen beschaffen sind.
Nun haben seit Kant viele Leute seine Haltung nachgelesen oder wurden durch sie beeinflusst . Einige wurden ganz bewusst davon beeinflusst. Jeder, der Philosophie studierte, würde ich sagen. Aber ganz viele, die Kant nicht so recht kennen, haben aber doch irgendwie schon eine Ahnung davon, was mit seiner kopernikanischen Wende gemeint ist. Weil Wissen einen "Trickle-Down"-Effekt auf die Gesellschaft hat.
Auch wenn man kein Gelehrter ist, bekommt man etwas mit von den großen Denkrichtungen.
Die meisten haben eine Ahnung oder Halbwissen über Psychoanalyse. "Ödipus-Komplex", alles klar. Viele wissen, das der Begründer der Psychoanalyse Freud ist. Andere wissen es nicht, kennen aber doch mittlerweile geläufige Ausdrücke wie "Unterbewusstsein". Vor ein paar hundert Jahren hat man das Unterbewusstsein noch nicht erfunden. Mittlerweile ist es Teil des Allgemeinwissens, dass es eine Theorie gibt, die behauptet, dass es neben der bewussten Seite des Geistes noch eine größere, unbewusste Seite gibt.
Darum schwimmt man, wenn man ahnungslos ist, durch eine gesellschaftliche Gedankensuppe mit verkochten Wissensbrocken aus allen möglichen Lehren. Aber das alles sind keine Wahrheiten, sondern Ergebnisse und Theorien von Menschen, die mal lebten oder noch leben. Man kann sich mehr Klarheit verschaffen, wenn man zurückverfolgt, welches Wissen von wem stammt, und wie diese Personen vom Wissen anderer Personen wiederum beeinflusst wurden.

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