Dienstag, 26. März 2013

Poststrukturalismus 4 (Finale)


6. Heute

Nach dem großen Geschichtsüberblick der vergangenen Teile kann man den PS also im Licht der Geschichte betrachten und verstehen, inwiefern er sich von allen vorgegangenen Denkweisen unterscheidet, und wie er aus ihnen hervorgegangen ist.
In diesem letzten Teil betrachten wir etwas genauer, was ihn ausmacht, welche Denker ihn vor allem prägten, wer gegen ihn kämpft, und weshalb der PS als Grundlage des Gender-Diskurses und der Political Correctness dient.

Die Informationsquelle ist hierbei die zweite Folge über Poststrukturalismus, erschienen auf der Seite des CRE.
Wie immer halte ich mir nicht vor, dabei alle im Podcast angesprochenen Themen aufzugreifen. Ich gebe nur wieder, was bei mir hängenblieb, und wie es hängenblieb. Wenn ich teilweise Informationen nicht ganz korrekt wiedergebe oder abschweife, bitte ich das im Vorfeld zu entschuldigen. Korrekturen oder Kommentare sind gerne willkommen.


Erinnern wir uns, was die Moderne ausmachte: Veränderung als Konstante, und frohlockender Fortschrittsglaube: Immer weiter, schneller, höher. Wachstum um jeden Preis.
Dieses Fortschrittsdogma entpuppte sich als neuer Zwang, den sich die Menschheit selbst auferlegte (und es teils immer noch tut).
Dieser Zwang muss ebenfalls hinterfragt werden.

Die Hochzeit des PS lag in den 70ern. Neben Anderen sind Foucault und Derida als führende Denker zu nennen.
Heute hat der PS nicht mehr viel zu melden, aber er prägte viele Denkrichtungen. Ihm entwuchs der Dekonstruktivismus, welcher sich von gängigen Denkweisen distanziert und in seiner radikalen Form statuiert, dass es keine allgemeine, sondern viele subjektive Wahrheiten gibt. Der Dekonstruktivismus beeinflusste sogar die Architektur.

6.1.Focault und die Diskurse
Foucault entwickelte niemals ein geschlossenes Denksystem, sondern galt eher als ein "Troll der Philosophie", der vor allem gängige Denkmuster angriff. Er prägte die Diskurstheorie.
Wir alle schwimmen in Ideen-Strömungen, die Focault als Diskurse bezeichnete.
Im Kern geht es bei Diskursen um die Verteilung von Macht- Wer hat die Macht, und wem wird sie vorenthalten, und wieso wird sie bestimmten Leuten vorenthalten?
In den Diskursen gibt es also Majoritäten, die Minoritäten systematisch ausschließen, indem ihnen kein Platz im Diskurs gewährt wird. Nur durch das Eindringen der Minoritäten in den Diskurs entstehen neue Machtkerne, auf die die alten Machtkerne fortan blicken und sich, vom Neuzugang ausgehend, umorientieren- der Diskurs ändert sich.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung bietet der Gender-Diskurs.

6.2 Gender-Debatte
Zu dieser Zeit ist es gar nicht solange her, dass eine erneute Debatte über Sexismus die Medien beschäftigte.
An dieser Stelle sei auch auf die Folge des Soziopod verwiesen, der sich mit Feminismus beschäftigt, bzw. seinen Ursprüngen und seinen diskurstheoretischen Wurzeln.
Die ausgeschlossene Minorität bilden hierbei die Frauen.
Genauso wie andere Minoritäten, etwa Schwule oder Schwarze, versuchten und versuchen Frauen eine gleichgestellte Position in der Gesellschaft zu erlangen.
Ein Kulturraum wird bestimmt von seinem Sprachsystem. Wo es keine Sprache für Minoritäten gibt, werden sie ausgeschlossen, z.B. in der Hackerszene, die von Männern dominiert ist. Unter Hackern gibt es den "Balls of Steel- Award". Für Frauen ist es dementsprechend schwer, einen solchen Award zu erlangen.
Sexismus wird als Degradierung des anderen Geschlechts definiert; sexistisch verhält sich, wer sich als mächtiger darstellt als das andere Geschlecht. Das kann für Männer wie auch für Frauen gelten, unterm Strich sind es aber vor allem die Männer, die ihre Machtdominanz demonstrieren.

Der Feminismus ist also kein bloßes "Frauen-Ding", sondern es geht dabei ganz allgemein um die Gleichheit von Menschen, bzw. um das Ankämpfen gegen Ungleichheit. Wer sich zum Feminismus bekennt, egal ob Frau oder Mann, verfolgt ein positves Bild beider Geschlechter- dabei werden Männer keineswegs in die Sexismus-Schublade gesteckt, sondern sie werden im Gegenteil als Menschen anerkannt, die Frauen als gleichwertig behandeln.

6.3. Political Correctness
PC ist anstrengend. Und man ist niemals fertig mit ihr. Die PC beschäftigt sich mit der Sprache, ganz im poststrukturellen Sinne. "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.." dreht sich eigentlich immer um Dinge, die man eben nicht mehr so sagen sollte.
Einen Gehandicapten als gehandicapt und nicht als behindert zu bezeichnen ist politisch korrekt, da man "Behindert" auch als Schimpfwort benutzen kann. Schwarze werden nicht als "Neger" bezeichnet, da man sich der kolonialen Wurzeln dieser Bezeichnung gewahr ist. "Neger" hat nicht nur heute eine negative Konotation, sondern hatte sie schon immer- als Oberbegriff für eine Art von Menschen, die der weißen Klasse untergeordnet war, die zu Beginn gar nicht als Menschen gehandelt wurden- das "alle Menschen sind gleich" der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung schloss Schwarze erst später in die Begrifflichkeit Mensch ein.
PC ist anstrengend, weil sie Gewohnheiten umstößt. Das ist immer mit Mühsal verbunden. Diese Anstrengung ist auf dem Weg zu Gleichberechtigung jeoch nötig.

6.4. Kontrollverlust
In Frankfurt stehen sich normale Bankgebäude auf einem Haufen, die Bundesbank sowie das EZB-Gebäude in einem Triangel gegenüber.
Die poststrukturell kritische Perspektive gegenüber der Architektur der Bundesbank begreift diese in ihrer Form als maximal mögliche Reduktion eines Schlosses. Darin spiegelt sich, dass Geld an die Stelle des absolutistischen Herrscher als oberste Instanz getreten ist. Alle (anderen Banken) haben sich nach ihr auszurichten.
Die EZB wiederum sondert sich von Banken und Bundesbank ab und symbolisiert mit ihrer ausgefallenen Architektur, dass sie mi dem alten System nichts zu tun hat, und somit eine exzentrische Kontrollfunktion übernimmt.

Das ist eine Deutung der Architektur und Positionierung der Banken. Ob sich die Erbauer das auch so gedacht haben? Genau diese Frage, nach der ursprünglichen Bedeutung, ist nach der poststrukturellen Denkweise irrelevant.
Denn nachdem ein Text der Öffentlichkeit zugänglich wird, entzieht sich dem Autor des Textes die Kontrolle über seinen Text, über die Art, wie sein Text interpretiert wird. Der Autor kann zwar seine Interpretation in die Diskussion einbringen, jedoch ist sie nur eine von vielen möglichen Deutungen. Das wird als Kontrollverlust bezeichnet.
Daran zeigt sich, dass die Grenze zwischen Sprache und Sprechendem verwischt; nicht der Autor spricht die Sprache, sondern die Sprache spricht den Autor.

6.5. Das Verschwinden des Autors
Die Deutung über seinen Text entzieht sich der Kontrolle des Autors. Der Autor tritt zurück und reiht sich ein in ein Meer der Interpreten.
Der Namenskult hat viel von seiner Bedeutung verloren. Heute ist es in vielen Bereichen nicht mehr wichtig, von wem etwas stammt, wer der Urheber eines Textes, eines Bildes, einer Idee ist. Nur zu oft ist das nicht nur nicht mehr wichtig, sondern auch so gut wie unmöglich, nachzuweisen, wer der Urheber ist.

6.6 Lecker Meme-Suppe
Praktische Anwendung findet dieses Prinzip auf Seiten wie "4Chan", die ungefilterte Internet-Ursuppe, in welcher jeder Autor denselben Namen trägt, nämlich gar keinen: Anonymous.
4Chan stellt einen Umschlagplatz der Meme dar.
Den Begriff "Meme" hat Dawkins in seinem Buch "Das egoistische Gen" geprägt. Darin postuliert er, dass es bestimmte Gene gibt, die sich ähnlich einem Virus verbreiten, anpassen, weiterentwickeln und teilweise immunisieren. Um zu zeigen, dass dieses Prinzip auch in der kulturellen Welt sichtbar greift, erfand er den Begriff der Meme, also Ideen, die sich irgendwann viral verbreiten. Irgendwann verbreitet sich ein solches Meme nicht mehr schrittweise, von einem zum anderen, sondern es macht "Klick" und auf einmal weiß irgendwie jeder, worum es geht. Jeder hat irgendwie schon von irgendetwas gehört, ohne dass man sagen kann, von wem man es hörte.
Der Autor verschwindet im Nebel der Unklarheit.
Ein Merkmal des Memes ist, dass es sich radikal von anderen Zeichen absetzt. Denn je stärker die Differenz zum Erwarteten ist, desto größer ist der "Aha-Effekt". Je größer der "Aha-Effekt", desto größere Chancen hat das Meme sich weiterzuverbreiten. Wenn ich fünfzig Mal auf 4chan blau sehe und dann auf einmal rot, wird sich das rot am ehesten einprägen.

6.7. Ein bisschen Linguismus
Man sucht sich immer die kleinsten gemeinsamen Teile, um das Große und Ganze zu erklären. In der Physik sieht man auf die Atome. In der Sprachwissenschaft nennt man die kleinsten Sinnträger, die sich von anderen Lauten absetzen, "Phoneme".
Strukturalismus ist ein Zweig der Sprachwissenschaft, der Mechanismen der Sprache theoretisch abstahiert und versucht auf die Kultur zu übertragen.
Anthroplogie ist die Lehre vom Menschen. Claude-Levi-Strauss brachte nun den Strukturalismus in die Anthroplogie, indem der den Begriff der "Mytheme" prägte.
Mytheme sind narrative Einzelelemente, die maximale Unwahrscheinlichkeiten in abstrahiertester Form darstellen. Die Ödipus-Legende etwa erfreut sich nach so langer Zeit großer Beliebtheit, weil in ihr viele einzelne Elemente maximaler Unwahrscheinlichkeiten verbunden werden:
Ein Mythem ist, dass der Sohn seinen Vater tötet. Ein anderes, dass der Sohn mit der Mutter schläft. Ein weiteres, dass er sich nicht bewusst ist, mit wem er schläft, und wen er tötet.
Das maximal Unwahrscheinliche wird von Menschen am ehesten weiterverarbeitet.
Ebenso, wie beliebte Memes auf 4chan immer weiter in Variationen wiederholt werden, durchziehen bestimmte Figuren und Erzählstränge Filme, Bücher und jede Form der Geschichtenerzählung bis heute. Bestimmte Prinzipien erfreuen sich halt immer dergleichen Beliebtheit im Publikum.
Die Literaturwissenschaft übernahm das Prinzip der Archetypen, und liest seitdem alle Literatur auf neue Weise. Jede Geschichte wird in ihre kleinstmöglichen Erzählelemente zerlegt. Ein Buch kann auf diese Weise solange in Einzelteile zergliedert werden, bis nur noch ein Haufen Mytheme übrig ist.

Das letztendliche Ziel dieser Bemühungen ist herauszufinden, was die kulturell übergreifende Universalgrammatik ist. Gibt es quasi Erzählatome, die in ihrer reinen Beschaffenheit immer gleich sind, nur von verschiedenen Kulturen unterschiedlich zusammengesetzt werden?
Nein, meint der Postrstrukturalist. Es kann keine festen Werte geben, weil sich Zuschreibungen (Interpratationen) immer ändern können.Außerdem ergibt sich Sinn immer nur in Abgeschlossenheit. Erst nachdem ein Satz ausgesprochen wurde, wird sein Sinn klar. Die Sinnproduktion erfolgt a posteriori. Erst in der Aktion wird der Gehalt erkennbar.
Daher gibt es nach dem PS keinen festen Baukasten, an den Linguistiker glauben. Stattdessen sind die einzelnen Elemente, die man sich herausgreift, zufällig.
Das wird "Arbitrarität" genannt. Es gibt keinen zwingenden Grund, eine physische Erscheinung mit brauner Rinde und grünen Blättern "Baum" zu nennen. Unsere Sinnzuschreibungen sind zufällig, und können sich jederzeit ändern.


6.7 Eine unheimliche Welt
Wo alle Gewissheit ungewiss wurde, lebt es sich seltsam schwerelos. Die Konsequenz des Postrstrukturalismus soll jedoch nicht der Nihilismus sein. Viel mehr sollten wir einfach im Hinterkopf behalten, wieviele scheinbar sichergeglaubte Dinge in ihrem Wesen doch so unsicher sind. Das ist eine Art zu denken, welche einen durch den Alltag begleiten kann. In allen Debatten, deren zeuge man wird, kann man so immer seinen eigenen Standpunkt kritisch beleuchten. Ist eine Sache wirklich so klar, wie sie scheint? Welche anderen Sichtweisen gibt es? Welche Sichtweise vertritt mein Gegenüber? Und in welcher Kultur, welchem Mileu, was auch immer, ist er aufgewachsen, dass er so denkt?


So endet mein kurzer Überblick über den Poststrukturalismus. Dieser letzte Teil ist etwas konfuser als der Geschichtsrückblick, was nur deutlich macht, dass die Gegenwart sowieso erst im Rückblick (besser) erklärbar wird, weil man ihr eine bestimmte Deutung gibt (welche jedoch beliebig ist). 
Ausflüge wie in den Linguismus sind sicherlich viel zu vereinfacht. Das ist der Vorzug, wenn man kein Fachmann ist. 
Vielleicht wurde jedoch klar, wie vielfältig die Auswirkungen des Poststrukturalismus für unseren Alltag sind.
Danke und auf Wiedersehen, bs zur nächsten Folge Summera-TV !

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