24.01.13
"Frei von der leber weg" ist als Plapper-Kategorie gedacht, in der ich freier schreibe- also mehr "Palaver" und weniger knallhartes, verkopftes Philosophie-Gedöns.
Diese Woche stand ein Leitartikel über die Probleme der sogenannten "Arbeiterkinder" in der Zeit, geschrieben von einem Journalisten, der seine Erfahrungen und Hürden beschrieb, als Kind einer Friseurin und eines Schornsteinkehrers bildungstechnisch aufzusteigen.
Von 100 Akademikerkindern schaffen es 71 auf die Universitäten, von 100 Nichtakademikerkindern nur 24.
Das liegt nicht daran, dass die Kinder von Akademikern schlauer sind. Stattdessen werden sie viel mehr von ihren Eltern gepuscht und kriegen die beste Nachhilfe.
Die Kinder von Nichtakademikern hingegen bekommen hingegen weniger Empfehlungen, nach der Grundschule das Gymnasium oder die Realschule zu besuchen.
"Das kannst du nicht schaffen", "das ist nichts für dich", "studieren ist unsicher und führt in eine unsichere Zukunft"...
Von der Seite meiner Mutter, die selbst keine akademische Bildung abgeschlossen hat, wurde ich zum Glück nie in meinen Vorhaben, auf das Gymnasium , gebremst. Ich hole derzeit das Abitur nach und habe vor, danach zu studieren. Dagegen sagt meine Mutter auch nichts.
Es ist eher meine Großmutter, die nicht müde wird, mir zu sagen, ich solle eine Ausbildung machen, und einen sicheren Arbeitsplatz finden.
Ich erinnere mich, meine Oma vor vielen Jahren gefragt zu haben, ob das Leben für sie ein Abenteuer währe. Diese Frage hat sie verneint.
Nun, ich bin für mein eigenes Leben anderer Ansicht. Ich glaube, man kann sehr vieles in die Hand nehmen und ändern, wenn man sich über einiges klar wird.
Nach der Grundschule besuchte ich das Gymnasium, auch auf Anraten meiner Grundschullehrerin.
Bis zur achten Klasse bin ich allerdings ziemlich abgerutscht.
Ich hatte Freunde, deren Eltern "gut situiert" waren. Die Eltern meines damaligen besten Freundes ließen sich in diesen Schuljahren ihr Eigenheim bauen, in der Nähe von meinem Wohnort, einem eher miesen Vorort mit schlechtem Ruf.
Ist es aus soziologischer Sicht eher ungewöhnlich, dass ich also Freunde hatte, deren Eltern aus einem anderen Mileu und einer höheren Schicht stammten? Wir Jungs dachten zu der Zeit über solche gesellschaftlichen Umstände natürlich nicht nach.
Die beiden bekamen irgendwann auch Probleme, in bestimmten Fächern mitzukommen. Mathe gehört wie immer zu den üblichen Verdächtigen.
Im Gegensatz zu mir besuchten sie aber eine kostspielige Nachhilfeschule, zu der sie mehrere Male in der Woche fuhren.
Diese Nachhilfe hat ihnen ziemlich geholfen. Ich bin allerdings in Mathe und Französisch weiter abgerutscht.
Schließlich hatte ich zuviele Fünfen und wechselte zum Wiederholen des achten Schuljahres auf die Realschule. Ich lernte neue Freunde kennen und verlor ziemlich schnell den Kontakt zu meinen alten Freunden. Auf der Realschule waren meine Noten glänzend, insgesamt waren das ziemlich sorglose drei Jahre.
Bis kurz vorm Ende der zehnten Klasse hatte ich Theatermaler zu machen. Mein Klassenlehrer war dagegen: " Theatermaler leben von der Hand- in den Mund!" sagte er mit wegwerfender Geste. Er überzeugte mich zuletzt, doch nach Schulabschluss die Oberstufe zu besuchen.
Also hat auch diesmal niemand von außen mich gebremst oder abgehalten, nach höheren Bildungsabschlüssen zu streben. Ganz im Gegenteil. Ohne meinen Klassenlehrer aus der Realschule wäre ich freilich nicht nochmal aufs Gymnasium gegangen, das ich durch die Misserfolge, die ich dort erlebte, entsprechend meiden wollte.
Tag eins in der Oberstufe war wieder das komplette Gegenteil von der Realschule. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, meine Mitschüler hätten mir zuviel voraus. Und ich kam wieder nicht mit in Mathe- ich hatte nicht die Basics, die auf Gymnasien ausgebildet wurden. Und alleine konnte ich diese nicht nachholen.
Es lief schlecht. Ich wechselte Gymnasien, zog um, wechselte wieder, wiederholte die zwölfte Stufe.
Zuletzt war jeder Tag auf dem Gymnasium einer zuviel. ich brach einige Monate vor den Abiturprüfungen ab und ging.
Wenn ich so zurückdenke, vermute ich, dass mein Scheitern auch an meiner inneren Einstellung lag. Ich war nicht bereit.
Es vergingen einige Jahre, in denen ich dies und das, und sonst nicht viel sinnvolles tat. Dann reifte irgendwann die Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann und ich tatsächlich das Abitur brauche, wenn ich nicht entweder irgendeinen Sonderweg zum Ruhm finde, oder, was wahrscheinlicher war, als Kassierer im Aldi ende.
Und jetzt hole ich das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach. Und entgegen aller Sorgen aufgrund alter aufgebauter Zweifel wegen vielen Niederlagen läuft alles glänzend, wie am Schnürchen. In einem jahr habe ich das Abitur in der Tasche, nicht nur ohne Defizite, sondern wohl auch noch mit einem guten Schnitt.
Optionen eröffnen sich, Möglichkeiten das Leben in Richtungen zu lenken, über die ich vorher nicht nachdachte, die ich nicht erwogen habe, weil sie nicht in meinem Blickfeld lagen.
Mir wird bewusst, dass ich mir selbst in vieler Hinsicht im Weg stand. "Das schaffst du nicht" hat mir so direkt niemand gesagt. Stattdessen habe ich ein Bewusstsein entwickelt, eine innere Stimme, die mir diesen Pessimismus bescherte.
Nach und nach, glaube ich, kann ich diese Unsicherheit abbauen.
Egal , ob man sich nun zur Schule des Konstruktivismus im Ganzen bekennt, Heinz von Foerster kann ich in der Ansicht zustimmen, dass man Teil der Welt ist, und sich seine Wirklichkeit in ganz großem Maße konstruiert.
Einstellungen machen große Unterschiede.
Und es macht einen großen Unterschied, ob man sich sagt, dass man Teil der Welt ist, oder nicht.
Bin ich der Überzeugung, dass ich kein Teil der Welt bin, entscheide ich mich, mich als neutraler Beobachter aus den Vorgängen in der Welt herauszuhalten.
Wenn ich mir hingegen bewusst mache, dass ich Teil der Welt bin... wird klar, dass ich Einfluss auf Mitmenschen und Situationen nehmen kann. Und dass ich mit allen anderen Verbunden bin, und sie wiederum mich verändern.
Meine alten Sichtweisen, was man im Leben erreichen sollte, erfahren gerade eine Generalüberholung. Ich bin in einem für mich sehr fruchtbaren Prozess des Selbsthinterfragens.
In der langen Zeit meiner Bildungsfeindlichkeit hatte ich natürlich alle möglichen Rechtfertigungen für diese Einstellung parat. Ein Gegengewicht musste herhalten, etwas, das dass Billdungsloch stopfen konnte.
Ich glaube, dass war einer der größeren, eher unterbewussten Gründe dafür, dass ich lange Zeit davon träumte, als Comiczeichner bekannt genug zu werden, um allein vom Zeichnen leben zu können.
Ich zeichne auch heute noch und habe sogar eine Weile erwogen, dass ich zum Weiterentwickeln der zeichnerischen Fähigkeiten nach dem Abitur in der Richtung studiere...
Nach einiger Prüfung des Gedankens kam ich aber für mich zum Schluss, dass das Zeichnen für mich eine Art ausgleichendes Hobby ist, und es, vorest zumindest, dabei bleiben sollte.
Mir anerzogen wurde immer der Druck der Frage, wo das Geld herkommen soll. Dementsprechend lag es immer nahe, möglichst schnell eine Arbeit zu ergreifen, die das nötige Geld einbringt...
Die Sache ist die, dass diese Einstellungen und Einflüsse nicht von vorneherein völlig klar sind. Sie liegen im Verborgenen, hocken im Unterbewussten, bis man sie sich bewusst macht und ins Licht zerrt.
Es gibt andere Möglichkeiten und Sichtweisen, durch das Leben zu gehen.
Ob ich studiere oder nicht- was ich studiere- ob man eine profitable Anstellung in Aussicht hat oder einen skurrilen Studiengang wählt-
die Zukunft ist doch immer gleichermaßen ungewiss.
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